Geschichten
von Symposien
Harald Jegodzienski
ready made  oder:
wenn das Pfauenauge zwinkert

*36. internationales Art-Symposium in Boleslawiec (ehem. Bunzlau),        (Polen)
*30 KünstlerINNEN aus Europa

 

Veröffentlichung: „KeramikMagazin" Nr. 5/ 2001

Auf einem Symposium zu arbeiten, bedeutet nicht nur eine Ortsveränderung, sondern bedeutet Leben und Formen zu gestalten. Es ist eine besondere Bewegung. Es ist ein Weg. Man/ frau lernt neue Räume, neue Materialien, zunächst unbekannte Menschen kennen. Das wichtige aber ist, dass schon nach kurzer Zeit Mensch und Materialien zu engen Bekannten und Freunden werden. Was zunächst fremd erschien, nicht in die eigene „Box" der Vorstellungen hineinzupassen schien, wird zum großen Gewinn einer solchen Hoch-Zeit. Das Leben verändert sich, sogar Ehen werden geschlossen.
Ich denke, Ihnen ist dies auch schon passiert: Man ist auf Reisen, alle Wege und die Zeit sind geplant. Das jähe Innehalten der gezielten Bewegung, - die Fähre, der Bus ist z.B. verpasst - , hat trotz großem Ärgernis die Einsicht zur Folge, z. B. ein Getränk in einem benachbarten Straßencafé zu sich zunehmen. Die Folge ist eine genau Beobachtung der direkten Umgebung. Scheinbar unwichtige Ereignisse werden fließend, d.h. ohne Anstrengung genauestens beobachtet. Man/frau hat ja Zeit. Interessant ist: Wenn man dann später von dem Großereignis dieser Reise erzählt, dass diese kleinen, scheinbar unwichtigen Erlebnisse in der Erinnerung besonders haften geblieben sind. Die Bewegung der Umwelt wird erst dann detailliert und bildreich beschrieben, wenn man selbst in einer aufmerksamen Ruhe sich befunden hat.
Genau solch ein Haltepunkt soll als Einstimmung meiner Impressionen dieses Symposiums dienen: der Marktplatz von Boleslawiec in Schlesien/Polen. An einem (Zeit-) Punkt, wo die ersten Reflexionen sich einstellen und die Frage erstmals auftaucht, was hat diese Zeit für Offerten und Geheimnisse bereitgehalten? Denn dieses Eintauchen in unbekannte Zonen ist in der generellen Auswirkung meist erst mit Abstand, d.h. wenn man wieder Zuhause in den Alltag eingetaucht ist, zu ermessen. Hier am Ort des Geschehens tastet man sich vorsichtig an ein zunächst unbekanntes Gesamtbild heran, listet lediglich die Ereignisse auf.
Die Bürgerparks in den einzelnen Stadtteilen sind mit mittlerweile verwilderten Sträuchern und Bäumen eingefriedet. Diese verwaisten, verlassenen Plätze weisen im Zentrum der Wildnis meist aufgefrostete Springbrunnenbecken und die obligaten sozialistisch-realistischen „Henry-Moore-Plastiken" auf: Oft Mütter, die ihre Kinder führsorgend umarmen - in Stein gehauen oder in Plaste geformt. Die Vielzahl der installierten Satellitenschüsseln mag vielleicht der Hinweis dafür sein, warum diese anheimelnden Orte nicht mehr aufgesucht werden. Anstelle der Bürgerplätze sind in der Gunst nun die Inseln getreten, die zum Genuss ganz anderer Art einladen: groß beschirmt und mit den Aufdrucken der Sponsoren von Bier- und Zigarettenindustrie versehen.
Im Zentrum des Marktplatzes von Boleslawiec, einem großen Karree, eingefasst von frisch getünchten Bürgerhäusern meist aus der Barockzeit, befindet sich das stattliche Rathaus. Um dieses gruppieren sich etliche dieser Schirminseln und laden zum Verweilen ein. Dieser Platz ist das Zentrum der Stadt, ihres gesellschaftlichen Treibens, des Flanierens, des Geschäftemachens und von Festen.
Unter einem dieser Schirme verweilt ein alter Mann in angespannter Sitzhaltung, der über lange Zeit sein abgestandenes Bier trinkt und zu häufig den Kopf schüttelt. Bilder und Worte der Ereignisse vom Vortag werden wach: Der 82-jährige Freund des Fotogeschäftsbesitzers (- auf Symposien wird sehr viel fotografiert -) erzählte mir von seinen Erlebnissen unter Tage eines Salzbergwerkes in Deutschland während des zweiten Weltkrieges. Er hätte nur noch 59 kg gewogen. Auf den Krückstock gestützt, kam er auf die Aktualität zu sprechen: Die Bundesregierung von Deutschland erwäge eine Wiedergutmachung in form von 5000,- DM. Er erwartete mit großen Augen meine Erwiderung. - Noch zwei weitere Bewegungen auf dem Marktplatz: Kinder, die mit den Skateboards ihren Mut an Mauerkanten und Geländern proben, und die Jugendlichen, die sich eine übergroße Keramikflasche als Treff- und Beziehungspunkt ihrer Aktivitäten auserwählt haben.
Diese Flasche, Nachbildung der Arbeit eines Bunzlauer
Keramik-meisters aus dem 17. Jahrhundert, ist nun gleichsam neben dem Rathaus der zweite Brennpunkt dieses Marktplatzes. Dieses Denkmal ist der bildliche Hinweis für das traditionsreiche Keramik-geschehen geschehen dieser Stadt. Diese 2,90 m große Plastik wurde festlich im Rahmen des berühmten Keramikmarktes, und gleichzeitig während unserer zweiten Symposiumswoche eingeweiht. Sie wurde von zwei unserer Teilnehmer, Vladek Garnik und Jerzey Trzaska, gestaltet.
Das Symposium mit der längsten Tradition Europas von 36 Jahren, hatte im Millenniumsjahr 30 KeramikerINNEN aus 7 Ländern zu Gast. Die bildnerischen Sprachen wurden bislang realistisch, naturalistisch, abstrakt oder auch dazwischen - in zwei oder drei Dimensionen - formuliert. Man möchte demnach meinen: „ein bunt zusammengewürfelter Haufen" -, aber auch das ist eine Form, und nicht eine schlechte...
In vier Fabriken wurden unsere Arbeitsplätze eingerichtet, die
jeweils verschiedene Produktionsschwerpunkte hatten. Diese Situation hatte den Vorteil, dass man sich jeweils dem technischen Grundkonzept einer jeweiligen Fabrik einklinken konnte
Der unermessliche Vorteil, in solch industriellen Anlagen arbeiten zu können, liegt darin, dass das Material wohl bereitet zu uns kommt und wir uns nicht zum Material schweißtreibend bewegen müssen. Da braucht man kein schlechtes Gewissen haben, wenn mal etwas nicht gelingt und für den Abfalleimer gearbeitet wurde. Ein Gefühl der Großzügigkeit stellt sich ein, das schließlich auch in den formalen Aussagen seinen Niederschlag finden kann.
Die Nischen, die wir normalerweise in unserem Alltag nicht mehr
finden, werden hier in diesen Industriegeländen als Offerten kredenzt. Es gilt ein Loblied auf den Schrott, den unaufgeräumten Ecken, dem Sammelsurium zu singen. Dinge, die normalerweise nicht zusammengehören, komprimiert in neuer Verknüpfung als überraschende Angebote zu verstehen. Sie alle haben Aufforderungscharakter zur Bearbeitung, zur Bedenkung oder dienen zumindest als Startposition für Formulierungen jedweder Art. Das Beschriebene ist allgemein übertragbar: Durch Annäherungen oder gar Kreuzungen gegensätzlicher Energien können neue Qualitäten von Begegnungen geschaffen werden. Vieles wird überhaupt über diesen Weg erst bewusst und anschaulich gemacht. Und die Chance ist groß, dass durch solche „Konfrontationen", sei es durch Materialkonstellationen, wie auch durch die neuen menschlichen Bekanntschaften, überraschend neue Plattformen des Denkens und Form-Fundamente entstehen. Diese Bereicherungen werden gefunden, nicht gesucht.
Neben der Disziplin des Aufspürens bzw. Findens im fremden Terrain ist man auch mit außergewöhnlichen Bedingungen der jeweiligen Örtlichkeiten ausgesetzt: Den öligen Atem eines Maschinenorganismusses, den stampfenden Takt zu verspüren; inmitten von frisch gezogenen, warmer Tonröhren zu arbeiten.
Die Sonnenstrahlen werden durch die kleinen Fensterkreuzen gesiebt

und wandern durch den Dampf an das hintere Ende der Halle. Es sind horizontale, haarscharfe Lichtpfeile, die erst durch die Kreuzung der Ausdünstungen der frischen Ware im Passepartout des Hallendunkels sichtbar werden. Dazu die Geruchsschwaden von Feuer und Salz, die an unseren Fenstern im oberen Stock vorbeiziehen. Die erblindeten, vom Alter gewellten Glasscheiben lassen im Vorübergehen die Steine der gegenüberliegenden Mauer tanzen. - Die Jazzmusik muss mit den Geräuschen von Gebläsen und Ventilatoren um ihre Vormacht streiten. - Draußen zeigte das Thermometer Werte über 30°C an. Im Innenraum wurde die Temperatur durch heiße Radiatoren um einiges in die Höhe getrieben - auch im Sommer will die Ware getrocknet sein. Nicht nur eine Addition dieser Temperaturwerte verdeutlicht die Vorstellung, in welcher Sauna-Atmosphäre gearbeitet wurde. Diese aber hatte etwas vom „Bauch". Etwas Urtümliches wurde damit berührt. Solche Situationen sind die besten Nährböden, Gedichte - oder... Keramik zu formulieren.
Man meint Selbstgesprächen zu lauschen, doch hinter Stellagen und Torsi von Keramiklandschaften wird lediglich mit dem Galeristen „x-y" per Mobiltelefon verhandelt. (Der Fortschritt hat auch bei den KeramikerINNEn Einzug gehalten). Akustisch wird es aber interessant, wenn die elektronischen Plagiate von klassischer Musik der Handy-Aufrufe geradezu einen Wettlauf mit dem allgemein akzeptierten Klassik-Sender unseres gemeinsamen Radios aufnehmen wollen. - Ein weiterer Vorteil eines Symposiums ist es, weitgehend befreit vom Alltag zu sein und einzutauchen in eine konzentrierte, focusierte Arbeits- und Lebenssituation. Nach solchen Telefonaten grinste jedoch der Alltag: Auf einmal mussten Plakate gestaltet, Podeste abgeholt oder bestellt, Termine festgeklopft und Ausstellungen arrangiert werden...
Wir Keramiker sind mit unserer Arbeit in Prozessen involviert und müssen ständig selber welche initiieren. Es ist ein befriedigendes Gefühl, wenn im Ofen Arbeiten im Hochbrand sich befinden, Platten für weitere Arbeitsvorgänge antrocknen, Tonkrümel zum Schlicker werden, Arbeiten kontrolliert trocknen, Gipsplatten in der Trockenkammer für zukünftige Aufgaben präpariert werden, das begehrte Halbzeug bestellt und Räucherstäbchen zur Öffnung aller Sinne für neue Aufgaben angesteckt sind - und das alles gleichzeitig. Es ließen sich zahlreich weitere Vorteile aufzählen, in einer Fabrik mit ihrer Maschinenpotenz und dem außerordentlichen Platzangebot zu arbeiten. Da wird es gern in Kauf genommen, das die mitgebrachten Ordnungs- und Perfektionsvorstellungen in der gut laufenden Schublade im eigenen Atelier bleiben.
Und ... manchmal ist es in der Auseinandersetzung mit den äußeren Befindlichkeiten als beglückend zu empfinden, das der Satz von Nietzsche auch auf diese zu übertragen ist: „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können".
Jede der eben aufgezählten Gegebenheiten können separat betrachtet als freudevolle Angebote angesehen werden, um tanzende Sterne zu gebären. Jedoch erst zusammengenommen ergibt es den „Symposiumssinn", diese „Sterne" in das richtige Licht zu setzen, damit sie entsprechend strahlen können: Die Grundachse, das Zentrum eines Symposiums ist das Superangebot der Freiheit, das Gefühl, ohne Belastung zu sein.
* Ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen, darf man mit dem Material quantitativ so arbeiten, wie es die Experimentierfreude, keramisches Neuland erproben zu wollen, hergibt.
* An solchen Orten ist eine völlig andere Perfektion gefragt: sich mit den Gegebenheiten auseinander zusetzen bzw. sie zu akzeptieren, (bekannte) Grenzen jedoch zu ignorieren.
* Und wenn man schon vertraut ist mit Prozessinitiierungen, dann ist es ein geradezu wundervoller, weiterführender Schritt, „Prozess" als seinen Freund für die Gestaltung von Form und Inhalt an seine Seite zu nehmen.
Diese drei Bedingungen haben mehr zu bieten, als nur die Summe von ihren Erwähnungen. Bei der Bereitschaft zum gerichteten Spiel in einer „unvollendeten" Arbeitslandschaft stellt sich mit dem Freund „Prozess" ein überraschendes Phänomen ein:

Durch den Abstand zum Normalen, durch die ungewohnte Freiheit und der temporären Kompression einer Symposiumszeit wird man befähigt, zum „Zuschauer", zum Begleiter seiner eigenen Arbeit zu

werden. Man ist nicht eingepfercht in eine Produktionslinie und deren gradlinigen Bedingungen, sondern ein Plateau für Kreativität für „krumme Dinge" wird eröffnet. Wenn dieses Spiel nicht gleich zu den erwarteten Resultaten führt, sollte man sich vor Augen halten, dass der Schaffungsprozess von größerer Bedeutung ist, als das Erschaffene (Cobra). Dieses gerichtete Spiel könnte als erster Schritt in eine neu gestaltete Wirklichkeit zu verstehen sein.
Die Konzentration auf das Wesentliche stellt sich ein und ein besonderer Nährboden an Formulierungskraft ist bereitet. So ist z.B. Schmutz und eine dunkle Arbeitsstelle kein Hindernis für eine saubere Arbeit oder lichtvolle Äußerung, sondern man nimmt solche Bedingungen „einfach" mit in das Formulierungsboot. So kommt es zum handelnden Denken.

Im Umkehrschluss ist natürlich die Frage interessant, warum man/ frau es weithin nicht schafft, im Alltag den Symposiumsgedanken einpflanzen zu können?
Der Kitzel des „kleinen Wettbewerbs" unter, und das Leben mit den Kollegen mit völlig verschiedenen Charakteren und Temperamenten aus den unterschiedlichen Denkheimaten und Nationen herkommend, stellt das Kolorit einer solchen Zeit dar. Die Definition von „Symposium" aus der Antike als einem Trinkgelage unter Freunden wird erweitert durch das zwanglose Arbeiten, Diskutieren, dem Austausch von Ansichten und Erörterung von Sachfragen. Entweder in der Großgruppe, einem kleinen Kreis oder sich selbst stellt man Fragen. Zum Beispiel, wo hört Design auf, wo fängt eine Skulptur an? Wo ist eine keramische Haut eine Wand, und wann wird sie zu einer Membrane von Innen- bzw. Außenkräfte, die auf eine Wandung einwirken? Wo fängt Kitsch oder Kunst an? Angesichts der hier oft anzutreffenden barocken Architektur dieser Gegend, die wir auf verschiedenen Exkursionen betrachten konnten, stellt sich auch die Frage: Ist dieser Stil in der Zeit der Nüchternheit von Glas und Chrom als Kitsch zu betrachten? Oder ist Barock ein Lebensgefühl der Gemütlichkeit und der Geborgenheit? Braucht man eine be- oder überladene Umgebung, um ruhig, entspannt zu werden und bei sich selbst anzukommen? Diese und ähnliche Fragen tauchen auf, wenn man dem Unbekannten offen zu begegnen bereit ist. Die Wichtigkeit der Barockfrage wurde im übrigen unterstützt von weiteren Erlebnissen: In den Porzellanfirmen wird man umgeben von einem Tassenstapel-Wald barocker Formen. Oder: Eine Diskothek diente als Forum eines Bluesfestivals mit vornehmlich sehr jungen Publikum - der Rahmen ist (aber) barock: Blümchentapeten säumte die Musikarena, gegliedert von langen gerafften Hängegardinen, gehalten in gewellten, weinroten Stores.
Die Stadt ist klein und viele ihrer Einwohner leben von der Keramik oder sind mit der Keramik in irgendeiner Hinsicht unmittelbar verbunden. Der traditionelle Keramikmarkt gibt davon Zeugnis: Die Industrie, kleine Familienbetriebe, Zulieferer, Meister und Lehrlinge der Schlickermalerei, die Souvenirläden, der Flohmarkt und der Kindergarten zeigen, was es mit der Keramik so alles auf sich hat.
Auch wir zeigten die (internationale) keramische Flagge. Mit der allgemeinen Symposiumshilfe und dreier Symposiumsteilnehmerinnen, die auf ihrer Heimreise von Bechinge
(CZ) herkommend zu unserer Gruppe stießen, wurden drei 2,50m-große Ton-„Zuckerhüte" in die Höhe gezogen. Die drei Ideengeber wurden mit den Segmenten weicher Tonröhren innerhalb dreier Stunden umbaut bzw. eingeschlossen. Die warme Abendsonne, die Zeitnot, die hämmernde Taktvorgabe von Techno-Klängen, das gleißende Fernsehlicht und die Hundertschaft an Publikum ließen einige Schweißperlen kullern. Wir nahmen in unserem Arbeitsrausch das Umfeld nicht wahr. Nur die Information: Wir würden der gleichzeitig auftretenden Rockgruppe derart Konkurrenz machen, dass ihnen kaum einer zuhört. Fast das ganze Festpublikum wäre bei uns versammelt. Ein Novum, dass eine Keramikveranstaltung einem Musikereignis Konkurrenz machen konnte.
Nach der Aktion (die drei Kollegen durchbrachen die Wandungen, so dass die großen Toniglus zeitlupenhaft in sich zusammenbrachen) gab man uns zum Zeichen der Anerkennung die Hand. Fast jeder im Publikum war Fachmann/-frau. Sie waren vom Metier und achteten genau auf unsere Bewegungs- und Handlungsabläufe und ... die Formen. Während der drei Stunden wurde im Publikum debattiert und kommentiert. Diese Ernsthaftigkeit und Schnelligkeit kannten sie. Der Stallgeruch spinnerter Künstler war verflogen, der Handschlag glich einem Ritterschlag und bedeutete die Aufnahme in den Kreis der „eigentlichen" Profis. - So war es nicht überraschend, anderntags freien Museumseintritt gewährt zu bekommen (für die Einzelausstellung von Maria Kuczinska). Der fröhlich ausgestreckte, aufrechte Daumen bezeugte, dass auch die Aufseher des Keramikmuseums der Aktion beiwohnten.
Es ist wichtig zu erleben, wie in der Begrenzung die Freiheit liegt. Doch zuweilen schätzt man auch die Offerte der Vielfalt. - So wie uns die Belegschaft der Keramikwerke bei unserer Marktaktion applaudiert hatte, so konnten wir im Gegenzug von den Händen der Arbeiter lernen, ihre selbstgefertigten Werkzeuge studieren und über die Geschwindigkeit ihrer Handgriffe staunen. Der hohe Anteil an handwerklicher Arbeit im Zusammenspiel mit dem von Maschinenkraft hergestelltem Halbzeug ergibt eine bunte und differenzierte Produktpalette. Diese Erzeugnisse sind vielfältig einsetzbar, die Firma kann schnell auf das Marktgeschehen reagieren und ... uns wird dadurch ein Superangebot zum Studium und Handeln feilgeboten. Diese Formen sind Schauspieler und Verführer, zugleich auch Lehrer. Sie bieten sich an zum zeichnen, fotografieren, segmentieren, überglasieren, montieren. Die grüne oder auch die schon gebrannte Ware kann man neu formatieren, zusammenstellen und verknüpfen. Dazu braucht man „lediglich" einen Spaziergang über den Werkshof und durch die Fertigungshallen zu unternehmen, um anschließend Strategien zum Handeln in den Händen halten zu können. Gerade durch solch differenziert formulierten Erzeugnisse, - und diese in einer imponierenden Größenordnung und Masse -, gleicht im Rundblick einem Kurgang durch den kunstgeschichtlichen Park: „Minimal-Art", „Op-art", Reihungen, Stapelungen, Objektkästen, Installationen etc. sind in enger Nachbarschaft anzutreffen; Die unendliche Säule von Brancusi genauso, wie viele weitere Werke berühmter KollegINNen. Sie präsentieren sich hier in besonderer Weise, sind manchmal mit überraschender Identität der Autorenschaft ausgestattet, in Reinkultur hier anzutreffen. Man kann Geschichten und Geschichte hier entdecken.
Der Zeitrahmen eines Symposiums und dieses Form-Angebot hat zur Folge, dass nicht alles von Grund auf formuliert werden muss:
* Schneidet bzw. klappt man z.B. eine große frische Röhre auf, hat man in weniger als 5 Minuten als Resultat eine ein Quadratmeter große wohl bereitete, gleich dicke Platte.
* Das Halbzeug stellt einen stabilen Körper mit der optimalen, inneren Statik für die Formung zur Verfügung. Die Übersicht und Konzentration zur Form ist damit in der Bearbeitung gewährleistet, und das in einer „x-beliebigen" Größe. Mit diesen technischen Möglichkeiten ist die Chance sehr groß, die Ebene der Kleinheit innerhalb der Keramik zu verlassen.
Der Anteil an handwerklichen Verrichtungen war in den Werken der Serviceherstellung besonders hoch. Da findet man trotz aller Perfektion noch das gewisse Vibrieren der Handschrift. Zuerst fällt sie als Erinnerung auf, weil man schon von der rationalisierten und technischen Eintönigkeit der Produktpaletten westlichen Couleurs geprägt ist. Da zwinkert das Pfauenauge und hat noch mehrmals Grund, dieses zu tun..
Das kennen wir ja vom Kartoffelstempel, wie schnell man das Aussehen im Druckstock verändern kann. In Boleslawiec hat die Form des Stempels und die Sprache der Handmalerei sich mit der Zeit auch gewandelt. Begehrlichkeiten wurden zum Überleben befriedet. So werden die Griechen mit dem Mäandermodul, die Franzosen mit provenzalischem Dekor beliefert; und die Amerikaner haben nicht nur einen Stern im Banner: die handgezogenen Streifen sind sogleich Beleg der europäischen Maltradition auf Geschirr und stellen durch ihre Handarbeit und Herkunft aus Old Europe eine besondere Adelung und Wertsteigerung dar.
Wir sind in Boleslawiec nicht nur in eine große Keramiktradition ein-getaucht, sondern auch in ein farbiges Kulturbecken. Wir haben den Kultussherriff kennengelernt, der an Leib und Amt gewichtig, an vielen Kulturorten anzutreffen war - ausgestattet mit Cowboyhut und einem Revolver im Gürtel. Seiner Eigeninitiative und Liebe zur Commedy ist es zu verdanken, dass das einzige Festival dieser Art Polens in der Nähe von Boleslawiec veranstaltet wird, das so professionell, dass landesweit die Live-Übertragungen im polnischen Fernsehen zu verfolgen sind. - Wir feierten Straßen- und Hoffeste mit Künstlern aus „unserer" Gegend, die u.a. vom Theater besonderer Art geprägt wurde: der „KTO"- Truppe aus Krakau, die Theaterschule nicht nur in Polen gemacht hat. Es ist ein Spiel mit übergroßen Fragmenten im Nachtdunkel aufgeführt. Die Ergänzung des Zusammenspiels wird dem Betrachter anheim gestellt.

Die Einsschätzung über den Wert eines Symposiums mag sehr persönlich gehalten worden sein. Doch ich kenne den Appetit, den Geschmack meiner KollegINNen: Wer einmal aus dem Symposiumsnapf frisst ... und der war reich bemalt und betupft. Und wieder zwinkert das Pfauenauge!
Unsere Arbeiten haben nun die entstehungsgeschichtlichen Heimatorte, das geordnete „Chaos" der Keramikwerke verlassen, um die Reise in die wohlfeile Passepartoutlandschaft von Galerien und Museen einzutreten

TeilnehmerINNEN des 36. und 37. Workshop
für Keramik und Skulptur

Adam Abel (Polen)
Adi Adela Aronow (Israel)
Tamara und Igor Bereza (Ukraine)
Alicja Podgorska-Birkner (Deutschland)
Zerrin Ersoy Demirsu (Türkei)
Tanja Heidi Svoboda-Gahler (Australien)
Wladyslaw Garnik (Polen)
Marita Benke-Gajda (Polen)
Elzbieta Grosseova (Tschechien)
Harald Jegodzienski (Deutschland)
Beata Dziekonska-Jedwabny (Polen)
Kazimierz Kalkowski (Polen)
Maciej Kasperski (Polen)
Jerzy Kedziora (Polen)
Ludmila Kovarikova (Tschechien)
Igor Kowalewicz (Ukraine)
Janina Bany-Kozlowska (Polen)
Anna Szpakowska-Kujawska (Polen)
Elisabeth Le Retif (Frankreich)
Czeslaw Malyjewicz (Polen)
Michael Moore (Irland)
Hanna Pietrzak (Polen)
Anne Ochmann (Deutschland)
Halina Olasik (Polen)
Iva Ouhrabkova (Tschechien)
Krzysztof Rozpondek (Polen)
Anders Ruhwald (Dänemark)
Ewa Rozanska (Polen)
Anna Stawiarska (Polen)
Maciej Szczypka (Polen)
Andrzej Trzaska (Polen)
Malgorzata ET BER Warlikowska (Polen)
Angela White (USA)
Bronislaw Wolanin (Polen)
Magdalena Wronska-Wiater (Polen)

Komissarin des Pleners:
Krystyna Gay-Kutschenreiter