Harald
Jegodzienski
ready made oder:
wenn das Pfauenauge zwinkert |
*36. internationales Art-Symposium in Boleslawiec (ehem.
Bunzlau), (Polen)
*30 KünstlerINNEN aus Europa
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Veröffentlichung: „KeramikMagazin" Nr. 5/
2001
Auf einem Symposium zu arbeiten, bedeutet nicht
nur eine Ortsveränderung, sondern bedeutet Leben und Formen zu
gestalten. Es ist eine besondere Bewegung. Es ist ein Weg. Man/
frau lernt neue Räume, neue Materialien, zunächst unbekannte Menschen
kennen. Das wichtige aber ist, dass schon nach kurzer Zeit Mensch
und Materialien zu engen Bekannten und Freunden werden. Was zunächst
fremd erschien, nicht in die eigene „Box" der Vorstellungen
hineinzupassen schien, wird zum großen Gewinn einer solchen Hoch-Zeit.
Das Leben verändert sich, sogar Ehen werden geschlossen.
Ich denke, Ihnen ist dies auch schon passiert: Man ist auf Reisen,
alle Wege und die Zeit sind geplant. Das jähe Innehalten der gezielten
Bewegung, - die Fähre, der Bus ist z.B. verpasst - , hat trotz
großem Ärgernis die Einsicht zur Folge, z. B. ein Getränk in einem
benachbarten Straßencafé zu sich zunehmen. Die Folge ist eine
genau Beobachtung der direkten Umgebung. Scheinbar unwichtige
Ereignisse werden fließend, d.h. ohne Anstrengung genauestens
beobachtet. Man/frau hat ja Zeit. Interessant ist: Wenn man dann
später von dem Großereignis dieser Reise erzählt, dass diese kleinen,
scheinbar unwichtigen Erlebnisse in der Erinnerung besonders haften
geblieben sind. Die Bewegung der Umwelt wird erst dann detailliert
und bildreich beschrieben, wenn man selbst in einer aufmerksamen
Ruhe sich befunden hat.
Genau solch ein Haltepunkt soll als Einstimmung meiner Impressionen
dieses Symposiums dienen: der Marktplatz von Boleslawiec in Schlesien/Polen.
An einem (Zeit-) Punkt, wo die ersten Reflexionen sich einstellen
und die Frage erstmals auftaucht, was hat diese Zeit für Offerten
und Geheimnisse bereitgehalten? Denn dieses Eintauchen in unbekannte
Zonen ist in der generellen Auswirkung meist erst mit Abstand,
d.h. wenn man wieder Zuhause in den Alltag eingetaucht ist, zu
ermessen. Hier am Ort des Geschehens tastet man sich vorsichtig
an ein zunächst unbekanntes Gesamtbild heran, listet lediglich
die Ereignisse auf.
Die Bürgerparks in den einzelnen Stadtteilen sind mit mittlerweile
verwilderten Sträuchern und Bäumen eingefriedet. Diese verwaisten,
verlassenen Plätze weisen im Zentrum der Wildnis meist aufgefrostete
Springbrunnenbecken und die obligaten sozialistisch-realistischen
„Henry-Moore-Plastiken" auf: Oft Mütter, die ihre Kinder
führsorgend umarmen - in Stein gehauen oder in Plaste geformt.
Die Vielzahl der installierten Satellitenschüsseln mag vielleicht
der Hinweis dafür sein, warum diese anheimelnden Orte nicht mehr
aufgesucht werden. Anstelle der Bürgerplätze sind in der Gunst
nun die Inseln getreten, die zum Genuss ganz anderer Art einladen:
groß beschirmt und mit den Aufdrucken der Sponsoren von Bier-
und Zigarettenindustrie versehen.
Im Zentrum des Marktplatzes von Boleslawiec, einem großen Karree,
eingefasst von frisch getünchten Bürgerhäusern meist aus der Barockzeit,
befindet sich das stattliche Rathaus. Um dieses gruppieren sich
etliche dieser Schirminseln und laden zum Verweilen ein. Dieser
Platz ist das Zentrum der Stadt, ihres gesellschaftlichen Treibens,
des Flanierens, des Geschäftemachens und von Festen.
Unter einem dieser Schirme verweilt ein alter Mann in angespannter
Sitzhaltung, der über lange Zeit sein abgestandenes Bier trinkt
und zu häufig den Kopf schüttelt. Bilder und Worte der Ereignisse
vom Vortag werden wach: Der 82-jährige Freund des Fotogeschäftsbesitzers
(- auf Symposien wird sehr viel fotografiert -) erzählte mir von
seinen Erlebnissen unter Tage eines Salzbergwerkes in Deutschland
während des zweiten Weltkrieges. Er hätte nur noch 59 kg gewogen.
Auf den Krückstock gestützt, kam er auf die Aktualität zu sprechen:
Die Bundesregierung von Deutschland erwäge eine Wiedergutmachung
in form von 5000,- DM. Er erwartete mit großen Augen meine Erwiderung.
- Noch zwei weitere Bewegungen auf dem Marktplatz: Kinder, die
mit den Skateboards ihren Mut an Mauerkanten und Geländern proben,
und die Jugendlichen, die sich eine übergroße Keramikflasche als
Treff- und Beziehungspunkt ihrer Aktivitäten auserwählt haben.
Diese Flasche, Nachbildung der Arbeit eines Bunzlauer
Keramik-meisters aus dem 17. Jahrhundert, ist
nun gleichsam neben dem Rathaus der zweite Brennpunkt dieses Marktplatzes.
Dieses Denkmal ist der bildliche Hinweis für das traditionsreiche
Keramik-geschehen geschehen dieser Stadt. Diese 2,90 m große Plastik
wurde festlich im Rahmen des berühmten Keramikmarktes, und gleichzeitig
während unserer zweiten Symposiumswoche eingeweiht. Sie wurde
von zwei unserer Teilnehmer, Vladek Garnik und Jerzey Trzaska,
gestaltet.
Das Symposium mit der längsten Tradition Europas von 36 Jahren,
hatte im Millenniumsjahr 30 KeramikerINNEN aus 7 Ländern zu Gast.
Die bildnerischen Sprachen wurden bislang realistisch, naturalistisch,
abstrakt oder auch dazwischen - in zwei oder drei Dimensionen
- formuliert. Man möchte demnach meinen: „ein bunt zusammengewürfelter
Haufen" -, aber auch das ist eine Form, und nicht eine schlechte...
In vier Fabriken wurden unsere Arbeitsplätze eingerichtet, die
jeweils
verschiedene Produktionsschwerpunkte hatten. Diese Situation hatte
den Vorteil, dass man sich jeweils dem technischen Grundkonzept
einer jeweiligen Fabrik einklinken konnte
Der unermessliche Vorteil, in solch industriellen Anlagen arbeiten
zu können, liegt darin, dass das Material wohl bereitet zu uns
kommt und wir uns nicht zum Material schweißtreibend bewegen müssen.
Da braucht man kein schlechtes Gewissen haben, wenn mal etwas
nicht gelingt und für den Abfalleimer gearbeitet wurde. Ein Gefühl
der Großzügigkeit stellt sich ein, das schließlich auch in den
formalen Aussagen seinen Niederschlag finden kann.
Die Nischen, die wir normalerweise in unserem Alltag nicht mehr
finden,
werden hier in diesen Industriegeländen als Offerten kredenzt.
Es gilt ein Loblied auf den Schrott, den unaufgeräumten Ecken,
dem Sammelsurium zu singen. Dinge, die normalerweise nicht zusammengehören,
komprimiert in neuer Verknüpfung als überraschende Angebote zu
verstehen. Sie alle haben Aufforderungscharakter zur Bearbeitung,
zur Bedenkung oder dienen zumindest als Startposition für Formulierungen
jedweder Art. Das
Beschriebene ist allgemein übertragbar: Durch Annäherungen oder
gar Kreuzungen gegensätzlicher Energien können neue Qualitäten
von Begegnungen geschaffen werden. Vieles wird überhaupt über
diesen Weg erst bewusst und anschaulich gemacht. Und die Chance
ist groß, dass durch solche „Konfrontationen", sei es durch
Materialkonstellationen, wie auch durch die neuen menschlichen
Bekanntschaften, überraschend neue Plattformen des Denkens und
Form-Fundamente entstehen. Diese Bereicherungen werden gefunden,
nicht gesucht.
Neben der Disziplin des Aufspürens bzw. Findens im fremden Terrain
ist man auch mit außergewöhnlichen Bedingungen der jeweiligen
Örtlichkeiten ausgesetzt: Den öligen Atem eines Maschinenorganismusses,
den stampfenden Takt zu verspüren; inmitten von frisch gezogenen,
warmer Tonröhren zu arbeiten.
Die Sonnenstrahlen werden durch die kleinen Fensterkreuzen gesiebt
und wandern durch den Dampf an das hintere Ende der Halle. Es
sind horizontale, haarscharfe Lichtpfeile, die erst durch die
Kreuzung der Ausdünstungen der frischen Ware im Passepartout des
Hallendunkels sichtbar werden. Dazu die Geruchsschwaden von Feuer
und Salz, die an unseren Fenstern im oberen Stock vorbeiziehen.
Die erblindeten, vom Alter gewellten Glasscheiben lassen im Vorübergehen
die Steine der gegenüberliegenden Mauer tanzen. - Die Jazzmusik
muss mit den Geräuschen von Gebläsen und Ventilatoren um ihre
Vormacht streiten. - Draußen zeigte das Thermometer Werte über
30°C an. Im Innenraum wurde die Temperatur durch heiße Radiatoren
um einiges in die Höhe getrieben - auch im Sommer will die Ware
getrocknet sein. Nicht nur eine Addition dieser Temperaturwerte
verdeutlicht die Vorstellung, in welcher Sauna-Atmosphäre gearbeitet
wurde. Diese aber hatte etwas vom „Bauch". Etwas Urtümliches
wurde damit berührt. Solche Situationen sind die besten Nährböden,
Gedichte - oder... Keramik zu formulieren.
Man meint Selbstgesprächen zu lauschen, doch hinter Stellagen
und Torsi von Keramiklandschaften wird lediglich mit dem Galeristen
„x-y" per Mobiltelefon verhandelt. (Der Fortschritt hat auch
bei den KeramikerINNEn Einzug gehalten). Akustisch wird es aber
interessant, wenn die elektronischen Plagiate von klassischer
Musik der Handy-Aufrufe geradezu einen Wettlauf mit dem allgemein
akzeptierten Klassik-Sender unseres gemeinsamen Radios aufnehmen
wollen. - Ein weiterer Vorteil eines Symposiums ist es, weitgehend
befreit vom Alltag zu sein und einzutauchen in eine konzentrierte,
focusierte Arbeits- und Lebenssituation. Nach solchen Telefonaten
grinste jedoch der Alltag: Auf einmal mussten Plakate gestaltet,
Podeste abgeholt oder bestellt, Termine festgeklopft und Ausstellungen
arrangiert werden...
Wir Keramiker sind mit unserer Arbeit in Prozessen involviert
und müssen ständig selber welche initiieren. Es ist ein befriedigendes
Gefühl, wenn im Ofen Arbeiten im Hochbrand sich befinden, Platten
für weitere Arbeitsvorgänge antrocknen, Tonkrümel zum Schlicker
werden, Arbeiten kontrolliert trocknen, Gipsplatten in der Trockenkammer
für zukünftige Aufgaben präpariert werden, das begehrte Halbzeug
bestellt und Räucherstäbchen zur Öffnung aller Sinne für neue
Aufgaben angesteckt sind - und das alles gleichzeitig. Es ließen
sich zahlreich weitere Vorteile aufzählen, in einer Fabrik mit
ihrer Maschinenpotenz und dem außerordentlichen Platzangebot zu
arbeiten. Da wird es gern in Kauf genommen, das die mitgebrachten
Ordnungs- und Perfektionsvorstellungen in der gut laufenden Schublade
im eigenen Atelier bleiben.
Und ... manchmal ist es in der Auseinandersetzung mit den äußeren
Befindlichkeiten als beglückend zu empfinden, das der Satz von
Nietzsche auch auf diese zu übertragen ist: „Man muss noch Chaos
in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können".
Jede der eben aufgezählten Gegebenheiten können separat betrachtet
als freudevolle Angebote angesehen werden, um tanzende Sterne
zu gebären. Jedoch erst zusammengenommen ergibt es den „Symposiumssinn",
diese „Sterne" in das richtige Licht zu setzen, damit sie
entsprechend strahlen können: Die Grundachse, das Zentrum eines
Symposiums ist das Superangebot der Freiheit, das Gefühl,
ohne Belastung zu sein.
* Ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen, darf man mit
dem Material quantitativ so arbeiten, wie es die Experimentierfreude,
keramisches Neuland erproben zu wollen, hergibt.
* An solchen Orten ist eine völlig andere Perfektion gefragt:
sich mit den Gegebenheiten auseinander zusetzen bzw. sie zu akzeptieren,
(bekannte) Grenzen jedoch zu ignorieren.
* Und wenn man schon vertraut ist mit Prozessinitiierungen, dann
ist es ein geradezu wundervoller, weiterführender Schritt, „Prozess"
als seinen Freund für die Gestaltung von Form und Inhalt an seine
Seite zu nehmen.
Diese drei Bedingungen haben mehr zu bieten, als nur die Summe
von ihren Erwähnungen. Bei der Bereitschaft zum gerichteten Spiel
in einer „unvollendeten" Arbeitslandschaft stellt sich mit
dem Freund „Prozess" ein überraschendes Phänomen ein:
Durch den Abstand zum Normalen,
durch die ungewohnte Freiheit und der temporären Kompression einer
Symposiumszeit wird man befähigt, zum „Zuschauer", zum Begleiter
seiner eigenen Arbeit zu
werden.
Man ist nicht eingepfercht in eine Produktionslinie und deren
gradlinigen Bedingungen, sondern ein Plateau für Kreativität für
„krumme Dinge" wird eröffnet. Wenn dieses Spiel nicht gleich
zu den erwarteten Resultaten führt, sollte man sich vor Augen
halten, dass der Schaffungsprozess von größerer Bedeutung ist,
als das Erschaffene (Cobra). Dieses gerichtete Spiel könnte als
erster Schritt in eine neu gestaltete Wirklichkeit zu verstehen
sein.
Die Konzentration auf das Wesentliche stellt sich ein und
ein besonderer Nährboden an Formulierungskraft ist bereitet. So
ist z.B. Schmutz und eine dunkle Arbeitsstelle kein Hindernis
für eine saubere Arbeit oder lichtvolle Äußerung, sondern man
nimmt solche Bedingungen „einfach" mit in das Formulierungsboot.
So kommt es zum handelnden Denken.
Im Umkehrschluss ist natürlich die Frage interessant,
warum man/ frau es weithin nicht schafft, im Alltag den Symposiumsgedanken
einpflanzen zu können?
Der Kitzel des „kleinen Wettbewerbs" unter, und das Leben
mit den Kollegen mit völlig verschiedenen Charakteren und Temperamenten
aus den unterschiedlichen Denkheimaten und Nationen herkommend,
stellt das Kolorit einer solchen Zeit dar. Die Definition von
„Symposium" aus der Antike als einem Trinkgelage unter Freunden
wird erweitert durch das zwanglose Arbeiten, Diskutieren, dem
Austausch von Ansichten und Erörterung von Sachfragen. Entweder
in der Großgruppe, einem kleinen Kreis oder sich selbst stellt
man Fragen. Zum Beispiel, wo hört Design auf, wo fängt eine Skulptur
an? Wo ist eine keramische Haut eine Wand, und wann wird sie zu
einer Membrane von Innen- bzw. Außenkräfte, die auf eine Wandung
einwirken? Wo fängt Kitsch oder Kunst an? Angesichts der hier
oft anzutreffenden barocken Architektur dieser Gegend, die wir
auf verschiedenen Exkursionen betrachten
konnten, stellt sich auch die Frage: Ist dieser Stil in der Zeit
der Nüchternheit von Glas und Chrom als Kitsch zu betrachten?
Oder ist Barock ein Lebensgefühl der Gemütlichkeit und der Geborgenheit?
Braucht man eine be- oder überladene Umgebung, um ruhig, entspannt
zu werden und bei sich selbst anzukommen? Diese und ähnliche Fragen
tauchen auf, wenn man dem Unbekannten offen zu begegnen bereit
ist. Die Wichtigkeit der Barockfrage wurde im übrigen unterstützt
von weiteren Erlebnissen: In den Porzellanfirmen wird man umgeben
von einem
Tassenstapel-Wald barocker Formen. Oder: Eine Diskothek diente
als Forum eines Bluesfestivals mit vornehmlich sehr jungen Publikum
- der Rahmen ist (aber) barock: Blümchentapeten säumte die Musikarena,
gegliedert von langen gerafften Hängegardinen, gehalten in gewellten,
weinroten Stores.
Die Stadt ist klein und viele ihrer Einwohner leben von der Keramik
oder sind mit der Keramik in irgendeiner Hinsicht unmittelbar
verbunden. Der traditionelle Keramikmarkt gibt davon Zeugnis:
Die Industrie, kleine Familienbetriebe, Zulieferer, Meister und
Lehrlinge der Schlickermalerei, die Souvenirläden, der Flohmarkt
und der Kindergarten zeigen, was es mit der Keramik so alles auf
sich hat.
Auch wir zeigten die (internationale) keramische Flagge. Mit der
allgemeinen Symposiumshilfe und dreier Symposiumsteilnehmerinnen,
die auf ihrer Heimreise von Bechinge
(CZ)
herkommend zu unserer Gruppe stießen, wurden drei 2,50m-große
Ton-„Zuckerhüte" in die Höhe gezogen. Die drei Ideengeber
wurden mit den Segmenten weicher Tonröhren innerhalb dreier Stunden
umbaut bzw. eingeschlossen. Die warme Abendsonne, die Zeitnot,
die hämmernde Taktvorgabe von Techno-Klängen, das gleißende Fernsehlicht
und die Hundertschaft an Publikum ließen einige Schweißperlen
kullern. Wir nahmen in unserem Arbeitsrausch das Umfeld nicht
wahr. Nur die Information: Wir würden der gleichzeitig auftretenden
Rockgruppe derart Konkurrenz machen, dass ihnen kaum einer zuhört.
Fast das ganze Festpublikum wäre bei uns versammelt. Ein Novum,
dass eine Keramikveranstaltung einem Musikereignis Konkurrenz
machen konnte.
Nach der Aktion (die drei Kollegen durchbrachen die Wandungen,
so dass die großen Toniglus zeitlupenhaft in sich zusammenbrachen)
gab man uns zum Zeichen der Anerkennung die Hand. Fast jeder im
Publikum war Fachmann/-frau. Sie waren vom Metier und achteten
genau auf unsere Bewegungs- und Handlungsabläufe und ... die Formen.
Während der drei Stunden wurde im Publikum debattiert und kommentiert.
Diese Ernsthaftigkeit und Schnelligkeit kannten sie. Der Stallgeruch
spinnerter Künstler war verflogen, der Handschlag glich einem
Ritterschlag und bedeutete die Aufnahme in den Kreis der „eigentlichen"
Profis. - So war es nicht überraschend, anderntags freien Museumseintritt
gewährt zu bekommen (für die Einzelausstellung von Maria Kuczinska).
Der fröhlich ausgestreckte, aufrechte Daumen bezeugte, dass auch
die Aufseher des Keramikmuseums der Aktion beiwohnten.
Es ist wichtig zu erleben, wie in der Begrenzung die Freiheit
liegt. Doch zuweilen schätzt man auch die Offerte der Vielfalt.
- So wie uns die Belegschaft der Keramikwerke bei unserer Marktaktion
applaudiert hatte, so konnten wir im Gegenzug von den Händen der
Arbeiter lernen, ihre selbstgefertigten Werkzeuge studieren und
über die
Geschwindigkeit ihrer Handgriffe staunen. Der hohe Anteil an handwerklicher
Arbeit im Zusammenspiel mit dem von Maschinenkraft hergestelltem
Halbzeug ergibt eine bunte und differenzierte Produktpalette.
Diese Erzeugnisse sind vielfältig einsetzbar, die Firma kann schnell
auf das Marktgeschehen reagieren und ... uns wird dadurch ein
Superangebot zum Studium und Handeln feilgeboten. Diese Formen
sind Schauspieler und Verführer, zugleich auch Lehrer. Sie bieten
sich an zum zeichnen, fotografieren, segmentieren, überglasieren,
montieren. Die grüne oder auch die schon gebrannte Ware kann man
neu formatieren, zusammenstellen und
verknüpfen. Dazu braucht man „lediglich" einen Spaziergang
über den Werkshof und durch die Fertigungshallen zu unternehmen,
um anschließend Strategien zum Handeln in den Händen halten zu
können. Gerade durch solch differenziert formulierten Erzeugnisse,
- und diese in einer imponierenden Größenordnung und Masse -,
gleicht im Rundblick einem Kurgang durch den kunstgeschichtlichen
Park: „Minimal-Art", „Op-art", Reihungen, Stapelungen,
Objektkästen, Installationen etc. sind in enger Nachbarschaft
anzutreffen; Die unendliche Säule von Brancusi genauso, wie viele
weitere Werke berühmter KollegINNen. Sie präsentieren sich hier
in besonderer Weise, sind manchmal mit überraschender Identität
der Autorenschaft ausgestattet, in Reinkultur hier anzutreffen.
Man kann Geschichten und Geschichte hier entdecken.
Der Zeitrahmen eines Symposiums und dieses Form-Angebot hat zur
Folge, dass nicht alles von Grund auf formuliert werden muss:
* Schneidet bzw. klappt man z.B. eine große frische Röhre auf,
hat man in weniger als 5 Minuten als Resultat eine ein Quadratmeter
große wohl bereitete, gleich dicke Platte.
* Das Halbzeug stellt einen stabilen Körper mit der optimalen,
inneren Statik für die Formung zur Verfügung. Die Übersicht und
Konzentration zur Form ist damit in der Bearbeitung gewährleistet,
und das in einer „x-beliebigen" Größe. Mit diesen technischen
Möglichkeiten ist die Chance sehr groß, die Ebene der Kleinheit
innerhalb der Keramik zu verlassen.
Der Anteil an handwerklichen Verrichtungen war in den Werken der
Serviceherstellung besonders hoch. Da findet man trotz aller Perfektion
noch das gewisse Vibrieren der Handschrift. Zuerst fällt sie als
Erinnerung auf, weil man schon von der rationalisierten und technischen
Eintönigkeit der Produktpaletten westlichen Couleurs geprägt ist.
Da zwinkert das Pfauenauge und hat noch mehrmals Grund, dieses
zu tun..
Das kennen wir ja vom Kartoffelstempel, wie schnell man das Aussehen
im Druckstock verändern kann. In Boleslawiec hat die Form des
Stempels und die Sprache der Handmalerei sich mit der Zeit auch
gewandelt. Begehrlichkeiten wurden zum Überleben befriedet. So
werden die Griechen mit dem Mäandermodul, die Franzosen mit provenzalischem
Dekor beliefert; und die Amerikaner haben nicht nur einen Stern
im Banner: die handgezogenen Streifen sind sogleich Beleg der
europäischen Maltradition auf Geschirr und stellen durch ihre
Handarbeit und Herkunft aus Old Europe eine besondere Adelung
und Wertsteigerung dar.
Wir sind in Boleslawiec nicht nur in eine große Keramiktradition
ein-getaucht, sondern auch in ein farbiges Kulturbecken. Wir haben
den Kultussherriff kennengelernt, der an Leib und Amt gewichtig,
an vielen Kulturorten anzutreffen war - ausgestattet mit Cowboyhut
und einem Revolver im Gürtel. Seiner Eigeninitiative und Liebe
zur Commedy ist es zu verdanken, dass das einzige Festival dieser
Art Polens in der Nähe von Boleslawiec veranstaltet wird, das
so professionell, dass landesweit die Live-Übertragungen im polnischen
Fernsehen zu verfolgen sind. - Wir feierten Straßen- und Hoffeste
mit Künstlern aus „unserer" Gegend, die u.a. vom Theater
besonderer Art geprägt wurde: der „KTO"- Truppe aus Krakau,
die Theaterschule nicht nur in Polen gemacht hat. Es ist ein Spiel
mit übergroßen Fragmenten im Nachtdunkel aufgeführt. Die Ergänzung
des Zusammenspiels wird dem Betrachter anheim gestellt.
Die Einsschätzung über den Wert eines Symposiums
mag sehr persönlich gehalten worden sein. Doch ich kenne den Appetit,
den Geschmack meiner KollegINNen: Wer einmal aus dem Symposiumsnapf
frisst ... und der war reich bemalt und betupft. Und wieder zwinkert
das Pfauenauge!
Unsere Arbeiten haben nun die entstehungsgeschichtlichen Heimatorte,
das geordnete „Chaos" der Keramikwerke verlassen, um die
Reise in die wohlfeile Passepartoutlandschaft von Galerien und
Museen einzutreten
TeilnehmerINNEN des 36. und 37. Workshop
für Keramik und Skulptur
Adam Abel (Polen)
Adi Adela Aronow (Israel)
Tamara und Igor Bereza (Ukraine)
Alicja Podgorska-Birkner (Deutschland)
Zerrin Ersoy Demirsu (Türkei)
Tanja Heidi Svoboda-Gahler (Australien)
Wladyslaw Garnik (Polen)
Marita Benke-Gajda (Polen)
Elzbieta Grosseova (Tschechien)
Harald Jegodzienski (Deutschland)
Beata Dziekonska-Jedwabny (Polen)
Kazimierz Kalkowski (Polen)
Maciej Kasperski (Polen)
Jerzy Kedziora (Polen)
Ludmila Kovarikova (Tschechien)
Igor Kowalewicz (Ukraine)
Janina Bany-Kozlowska (Polen)
Anna Szpakowska-Kujawska (Polen)
Elisabeth Le Retif (Frankreich)
Czeslaw Malyjewicz (Polen)
Michael Moore (Irland)
Hanna Pietrzak (Polen)
Anne Ochmann (Deutschland)
Halina Olasik (Polen)
Iva Ouhrabkova (Tschechien)
Krzysztof Rozpondek (Polen)
Anders Ruhwald (Dänemark)
Ewa Rozanska (Polen)
Anna Stawiarska (Polen)
Maciej Szczypka (Polen)
Andrzej Trzaska (Polen)
Malgorzata ET BER Warlikowska (Polen)
Angela White (USA)
Bronislaw Wolanin (Polen)
Magdalena Wronska-Wiater (Polen)
Komissarin des Pleners:
Krystyna Gay-Kutschenreiter
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